Communication Error?


Die gesellschaftliche Bedeutung der Pflegebranche steht wohl außer Frage: Schließlich möchte jede:r im Alter guter und würdig leben. Gleichzeitig liest man immer wieder von schlechten Zuständen – kann hier Digitalisierung Abhilfe schaffen? Der Ökonom Dr. Andreas Mayert, Referent am SI, hat sich in einer großen Studie damit beschäftigt, erklärt hier, warum Pflegende vor allem pflegen sollten und was Faxgeräte damit zu tun haben
Herr Dr. Mayert, Sie haben sich intensiv mit Digitalisierung in der Langzeitpflege beschäftigt. Warum ist das in diesem Feld relevant?
Der Personalmangel in der Langzeitpflege ist bereits jetzt extrem und wird sich aller Voraussicht nach noch verschärfen. Dieser Personalmangel wirkt sich auf Pflegedienste und -einrichtungen, Pflegekräfte und Pflegeempfangende gleichermaßen gravierend aus. Viele stationäre Pflegeeinrichtungen haben wirtschaftliche Schwierigkeiten, eine größere Anzahl musste bereits Insolvenz anmelden. Personalmangel führt aber auch dazu, dass Pflegekräfte bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit und unter sehr ungünstigen Bedingungen arbeiten müssen. 6-Tage-Wochen, ständiges Einspringen für ausgefallene Kolleg:innen, Doppelschichten, Nachtschichten, arbeiten mit minimalem Personalbestand und viele andere Dinge führen dazu, dass Pflegekräfte nicht nur großen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, der ständige Zeitdruck hat auch zur Folge, dass keine Zeit für Bezugspflege bleibt und Pflegeempfangende im Minutentakt versorgt werden müssen. Man kann sich vorstellen, was das für Pflegeempfangende bedeutet. „Möchten Sie einmal so versorgt werden?“, hat uns eine Pflegekraft im Rahmen unserer qualitativen Studie rhetorisch gefragt. Digitalisierung ist kein Allheilmittel für diese Probleme, kann sie aber zumindest abmildern. Richtig eingesetzt, kann sie die Effizienz von Pflegeprozessen erhöhen und so zu mehr Zeit für gute Pflege führen. Pflegeanbieter können mit Kostenträgern Leistungen und erhalten schnell und verlässlich ihre Vergütung, was zurzeit ein Problem ist. Sie kann die Kommunikation mit zum Beispiel Ärztinnen und Ärzten beschleunigen und verbessern, sodass die Patientensicherheit zunimmt und Pflegekräfte keine wertvolle Zeit verschwenden müssen, weil sie in Telefonwarteschleifen hängen oder auf einen Rückruf warten. Und das sind nur zwei Beispiele.
„‚Möchten Sie einmal so versorgt werden?‘, hat uns eine Pflegekraft rhetorisch gefragt.“
In Ihrer Studie spielt die Anbindung der Pflege an die Telematikinfrastruktur (TI) eine große Rolle. Kurz gesagt: Was ist das überhaupt und warum ist eine Anbindung so wichtig?
Einfach ausgedrückt soll die TI ermöglichen, dass möglichst alle Leistungserbringer:innen des Gesundheitssystems sowie Kostenträger innerhalb eines geschlossenen und sicheren Netzes standardisierte Informationen austauschen und friktionsfrei miteinander kommunizieren können. Im Idealfall entsteht eine digitale Gesundheitsökonomie, mit deren Hilfe die verfestigten Sektorengrenzen unseres Gesundheitssystems überwunden werden könnten. Pflegeanbieter stehen zum Teil mit weit über 100 Gesundheitsakteur:innen und Kostenträgern in Kontakt und die Kommunikation erfolgt heute noch weit überwiegend über Telefon, Fax oder Papier. Das ist zeitaufwändig, unzuverlässig und verlangsamt wichtige Informationsflüsse, die für Pflegeempfangende oft von hoher Bedeutung sind. Darüber hinaus führt diese ineffiziente Kommunikation dazu, dass Pflegende einen größeren Teil ihrer knapp bemessenen Arbeitszeit mit nicht selten erfolglosen Versuchen verbringen, wichtige Informationen weiterzugeben oder zu erlangen. Eine Anbindung an die TI würde all das unglaublich erleichtern und beschleunigen, sodass drei Ziele auf einmal erreicht werden könnten: Effizientere Pflegeprozesse, Zeitgewinne und damit eine Arbeitserleichterung für Pflegende und eine Verbesserung der Pflegequalität, weil wichtige Informationen schnell bereitstehen oder übermittelt werden können und die intersektorale Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsakteur:innen gestärkt wird.
Was sind konkrete Probleme, die Digitalisierungsprozesse behindern?
Es gibt technologische und finanzielle Probleme und beide hängen eng zusammen. Das technologische Problem besteht darin, dass viele Pflegeanbieter nach und nach Pflegetechnologien angeschafft haben. Früh angeschaffte Technologien, zumeist sind das die zentralen Verwaltungssysteme, sind oft veraltet; und der sukzessive Erwerb von Pflegetechnologien hat zur Folge, dass diese oft nicht miteinander und insbesondere nicht mit dem veralteten Verwaltungssystem vernetzbar sind. Das führt zu einer ineffizienten Datenverarbeitung und -nutzung innerhalb von Pflegediensten und -einrichtungen und verhindert insbesondere den Informationsaustausch und die Kommunikation mit anderen Akteur:innen des Gesundheitssystems, den beides läuft über das zentrale Verwaltungssystem bzw. Primärsystem. Und an dieser Stelle kommen die finanziellen Probleme ins Spiel. Um überhaupt Teil der digitalen Gesundheitsökonomie werden zu können, müssen Pflegeanbieter ihre veralteten Verwaltungssysteme und möglicherweise auch noch andere Pflegetechnologien austauschen – und das bei laufendem Betrieb unter den Bedingungen extremen Personalmangels. Das ist nicht nur organisatorisch aufwändig, es ist vor allem sehr kostspielig.
„Klar gäbe es dann auch Mitnahmeeffekte wirtschaftlich gut situierter Pflegeanbieter, aber die gibt es auch jetzt.“
Was könnte kurzfristig getan werden?
Die Anschaffung von digitalen Pflegetechnologien wird staatlich mit maximal 12.000 Euro gefördert, aber Pflegedienste und -einrichtungen können die Förderung nur in Anspruch nehmen, wenn sie ihre Investitionen zu 60 Prozent aus Eigenmitteln finanzieren. Das führt dazu, dass hohe Förderbeträge tendenziell vor allem jenen Pflegeanbietern zugutekommen, die wirtschaftlich gut situiert sind und eine Förderung am wenigsten benötigen, denn nur sie können hohe Eigenmittel aufbringen. Vor allem kleine Pflegeanbieter mit geringen finanziellen Möglichkeiten gucken hingegen in die Röhre. Wir benötigen eine zweckgebundene Förderung des Erwerbs digitaler Technologien, die nicht an das Aufbringen von Eigenmitteln gebunden ist. Dann erhalten alle Pflegedienste und -einrichtungen den gleichen Förderbetrag, also vor allem auch die, die bislang mangels Finanzmitteln außen vor bleiben. Zwar gäbe es dann auch Mitnahmeeffekte wirtschaftlich gut situierter Pflegeanbieter, aber die gibt es auch jetzt.
Für Rücksprache, Bild- oder Interviewanfragen wenden Sie sich bitte an
Dr. Kristin Torka
Arnswaldtstraße 6 │ 30159 Hannover
E-Mail: kristin.torka@si-ekd.de



