Ermutigung I statt Hartz IV- Zur Diskussion um das SGB II

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Beitrag von Gerhard Wegner, in: “Die Politische Meinung”

Die kontroversen Diskussionen um das SGB II – vulgo Hartz IV –  reißen nicht ab. Seit ihrer Einführung sind die neuen Regelungen zum “Fördern und Fordern” längerfristig Arbeitsloser, die die Sozialgesetzgebung in Deutschland grundlegend reformiert haben, umstritten. Bis heute reden die einen davon, dass Hartz IV “Armut per Gesetz” sei, da es Menschen zwinge unter Armuts-Bedingungen zu leben, und dass deswegen die zunehmende Armutsentwicklung in Deutschland letztlich ursächlich auf diese Gesetzgebung zurückzuführen sei. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass die für die Betroffenen gewährten finanziellen Versorgungsleistungen nach wie vor zu großzügig bemessen seien und Menschen deswegen zu wenig zum eigenverantwortlichen Ausstieg aus der Armut nötigten. Hartz IV wäre in dieser Hinsicht folglich geradezu “Faulheit per Gesetz”.

Das SGB II als Mittel der Armutsbekämpfung
Im SGB II sind die zentralen Instrumente einer direkten Unterstützung durch staatliche Transferleistungen im Fall von Armutsbedrohung neu geregelt worden. Wie auch schon die Vorgängergesetzgebungen im Bereich der Sozial- oder der Arbeitslosenhilfe sollen sie der Absicherung gegen Armutslagen dienen. Theoretisch wäre damit ein Bezieher von SGB II Leistungen, wie früher ein Sozialhilfeempfänger, vor Armut geschützt. Tatsächlich besteht aber weitgehender Konsens, dass hierzu die Höhe des Regelsatzes nicht ausreichend ist. Gemessen am europäischen Kriterium für Armutsgefährdung – dem Verfügen über weniger als 60% des Medianeinkommens – werden fast alle Hartz IV Empfänger als arm oder von Armut bedroht eingestuft werden müssen. In der öffentlichen Meinung gelten sie ohnehin als arm. Die Zahl der Personen, die Leistungen im Rahmen der SGB II-Gesetze beziehen, ist mit 6,7 Mio. Anfang 2010 nach wie vor sehr hoch. Allerdings ist sie um etwa 700.000 geringer als beim Höchststand im Frühjahr 2006. Zum ersten Mal seit den 90er-Jahren nahm auf diese Weise die Arbeitslosigkeit unter Beziehern staatlicher Sozialleistungen ab. Ob allerdings dieser Erfolg direkt auf die SGB II-Gesetzgebung oder schlicht auf die konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen ist, lässt sich kaum eindeutig klären. Zu erwarten ist zudem, dass infolge der Wirtschaftskrise 2008 die Zahlen wieder steigen werden.

Im Unterschied zu früheren Regelungen soll das SGB II aber nicht nur schützen, sondern zudem forciert Menschen zur Wiedererlangung ihrer Eigenständigkeit durch Aufnahme einer Berufstätigkeit befähigen. Damit verfügt dieses Gesetz über ein klares Evaluationskriterium: der beständigen Verringerung seiner Klientenzahlen, dadurch, dass ihnen beim Finden eines bezahlten Arbeitsplatz nachhaltig geholfen wird. Der Erfolg der SGB II-Gesetzgebung kann also nicht innerhalb des Wirkungskreises des Gesetzes selbst gemessen werden, sondern erst dann, wenn Menschen diesen Wirkungskreis verlassen, d. h. eine ihren Unterhalt finanzierende Erwerbstätigkeit finden. Die Deutlichkeit, mit der das Gesetz dieses Ziel vorschreibt unterscheidet sich von den Vorgängergesetzgebungen, die ähnliche, aber meist deutlich schwächere Zielformeln enthielten. Und: dieses Ziel unterscheidet das Gesetz auch deutlich von Forderungen nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens – es ist sozusagen das genaue Gegenteil, denn das SGB II koppelt den Bezug staatlicher Leistungen an die Bereitschaft, so schnell wie möglich eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und dafür seine eigene Arbeitskraft weiter zu entwickeln. In diesen Akzentuierungen folgt es angelsächsischen Vorbildern und setzt sich in einem begrenzten Maße, wenn auch nicht abrupt, von den bisherigen deutschen Traditionen ab. Dies auch dadurch, wie z.B. im Fall der Arbeitslosenhilfe, dass auf eine relative Status erhaltende Versorgung völlig verzichtet wird.

Der Mensch als von Gott Begabter
Wie lassen sich die Wirkungen dieser Gesetzgebung fünf Jahre später einschätzen und aus Sicht der evangelischen Sozialethik beurteilen? Das Leitkriterium evangelischer Sozialethik ist eine “Konzeption” vom einzelnen Menschen als einen von Gott mit Gaben ausgestatteten, in dieser Hinsicht prinzipiell Befähigten und zur Mitwirkung in der Gesellschaft Berufenen. Eine gerechte Gesellschaft sollte deswegen in der Lage sein, möglichst vielen Menschen die Verwirklichung ihrer eigenen Berufung durch die Entfaltung ihren Fähigkeiten zu ermöglichen. Darauf haben alle Menschen in gleicher Weise ein Recht. Dieses Recht wird notwendigerweise auf der einen Seite durch ein gerechtes Bildungssystem, das Menschen entlang ihrer “Gaben” effizient, und d.h. bei ungleichen sozialen und kulturellen Ausgangsbedingungen in vielerlei Hinsicht kompensatorisch fördert, umgesetzt. Auf der anderen Seite dadurch, dass es die Möglichkeit gibt, die eigenen Fähigkeiten in die gesellschaftliche Kooperation, insbesondere in der Wirtschaft, in Form von Arbeitsplätzen, einzubringen. Menschen werden in dieser Hinsicht als befähigungsfähig und als prinzipiell kompetent zur eigenen Lebensgestaltung betrachtet. Insbesondere in der Teilhabe an Arbeit verwirklichen sie zudem auch ein Stück Teilhabe an Gottes Schöpferkraft. In den Fällen, in denen ihre Kompetenzen nicht voll zur Entfaltung kommen können, bedarf es unterstützender Förderung durch andere.

Aus dieser Sicht ist Armut ganz umfassend als gesellschaftliche Vernachlässigung von Menschengruppen zu begreifen. Sie tritt immer dort auf, wo Menschen nicht zur Entfaltung ihrer Möglichkeiten gelangen können und deswegen auf ihre gerechte Teilhabe verzichten müssen. Die gesellschaftlichen Akteure wie der Staat, die Zivilgesellschaft, die gesellschaftlichen Organisationen wie Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, tragen in einer treuhänderischen Verantwortung für diese Menschen. Insofern gilt grundsätzlich: Armut muss abgebaut werden, damit Menschen ihrer “Bestimmung” gerecht werden, für sich selbst und für das Gemeinwohl aktiv werden und so letztendlich vor Verwahrlosung bewahrt werden können. Eine gerechte Gesellschaft ist in dieser Perspektive dadurch ausgezeichnet, dass sich in ihr möglichst viele Menschen durch eigene Arbeit selbst erhalten können und sich darin untereinander solidarisch unterstützen bzw. befähigen. Deutlich ist damit von vorn herein, dass dies keine Gesellschaft der völlig Gleichen ist – aber eine “Basisgleichheit” aller existieren muss und die derzeit beobachtbare rasante Entwicklung zu mehr sozialer Ungleichheit ihr widerspricht.

Von diesem ressourcen- und potentialorientierten Menschenbild her sind die Intentionen des SGB II, mit einem Mix aus Fordern und Fördern, Menschen, die in eine Armutssituation geraten sind, wieder zu befähigen, aus ihr herauszukommen und sich selbstverantwortlich erhalten zu können, grundsätzlich zu begrüßen. Dass in einer effizienteren Weise, als dies in der vorausgegangenen Gesetzgebung der Fall war, Menschen befähigt und nicht nur alimentiert, damit aber stets auch passiviert und alleingelassen versorgt werden, und dass nun ein ganzes Set an Beratungs- und Hilfemöglichkeiten bereitgestellt wird, das gebündelt durch das Fallmanagement den betreffenden Menschen zugutekommen soll, stellt einen erheblichen sozialpolitischen Fortschritt dar. Im Prinzip ist dies ein Hilfe-Setting dar, das den Kriterien evangelischer Sozialethik zur Förderung des einzelnen durchaus gerecht werden kann. Allerdings bleibt die Frage offen, ob über den Wirkungskreis des Förderns und Forderns des SGB II hinaus auch tatsächlich der Übergang in angemessene Arbeitsplätze erreicht wird. Erst dann wären ja diese – positiven – Ziele wirklich erreicht. Wenn es z.B. gar keine erreichbaren Arbeitsplätze gibt, was ja in bestimmten Regionen Deutschlands in den letzten Jahren der Fall war, kann ein reines Aktivieren als solches bei den betroffenen Menschen auch geradezu zynisch wirken.

Die Mediatisierung der Regelsätze
Nun hat es in der einen oder anderen Form auch in der alten Sozial- und Arbeitslosenhilfe Erwartungen gegeben, dass die Betroffenen Arbeitstätigkeiten aufnehmen sollen. Was ist in dieser Hinsicht das unterscheidend Neue in der SGB II-Gesetzgebung? Der entscheidende Punkt ist: Die früheren Gesetzeswerke stellten laut Gesetzestext finanzielle Transferleistungen bereit, um die Würde der Betreffenden zu gewährleisten indem sie ihnen einen Schutz vor Armut boten. Das bedeutete, dass die Höhe der materiellen Leistungen selbst nicht zur Disposition stehen konnte. Sanktionen gab es nur in Fällen von Missbrauch. Nun aber kann die finanzielle Leistung im Interesse der Aktivierung gekürzt werden. Mithin stellt die Ausgestaltung der materiellen Unterstützungsleistungen selbst einen Anreiz für die schnelle Wiederaufnahme von Erwerbsarbeit dar. Darin liegt der entscheidende Unterschied. Mit anderen Worten: “Das Arbeitslosengeld II soll einerseits so knapp bemessen sein, dass sich die Aufnahme von Erwerbsarbeit für die Hilfebezieher ,rechnet’, andererseits aber auch eine den gesellschaftlich-politisch ausgehandelten Minimalanforderungen genügende Teilhabe gewährleistet wird. Diese Doppelfunktion der passiven Leistungen des SGB II verweist auf eine entscheidende Neubestimmung des Verhältnisses zwischen der Sicherung materieller Teilhabe und der Überwindung von Hilfebedürftigkeit. Zum einen wird die an den vorgängigen Erwerbseinkommen bemessene ehemalige Arbeitslosenhilfe aufgehoben. Zum anderen wird im Unterschied zur ehemaligen Sozialhilfe, als deren genuine Aufgabe § 1 des Bundessozialhilfegesetzes vorsah, dem Leistungsempfänger ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, die Vermeidung von Armutslagen mithilfe von finanziellen Unterstützungsleistungen – wie bereits die Struktur des Gesetzestextes verrät – im SGB II nur noch als nachrangige Aufgabe begriffen.”

Die aktivierenden Elemente der Grundsicherung werden folglich vorrangig gegenüber der Vermeidung von Armutslagen in Anschlag gebracht. Im Zweifel kann die materielle Leistung gekürzt werden, wenn sich die Aktivierung der Betreffenden nicht schnell und präzise genug vollziehen sollte und die Betreffenden gegen Auflagen und gemeinsame Vereinbarungen verstoßen. Eine solche Sichtweise operiert, so muss man es nüchtern sehen, mit der Drohung von weitergehender Armut – und d.h. mit Einschnitten an dem, was ihre Würde sichert -, um Menschen zur Wiederaufnahme von Arbeit und zur Beendigung der Armut zu veranlassen. Dies ist in dieser deutlichen Form in der deutschen Sozialgesetzgebung neu. Allerdings muss man sehen, dass solche Sanktionen nur dann erfolgen, wenn die angebotenen Hilfemaßnahmen nicht in Anspruch genommen werden sollten – d.h. sanktioniert wird in dieser Sicht mangelnde Selbstverantwortung. Tatsächlich werden Sanktionen nicht gerade selten angewendet: 2008 traf es 532.501 Menschen über 25 Jahre und noch einmal 256.373 unter 25 Jahren. Einen völligen Verlust des Regelleistungssatzes erfuhren 21.235 über 25 Jährige und 97.642 unter 25 Jährige.

Selbstverantwortungsfähigkeit
Mit diesen Regelungen wird den Betroffenen etwas unterstellt bzw. zugemutet, was möglicherweise gerade ihr Problem ist: nämlich die Fähigkeit ein großes Maß an Autonomie und Selbstverantwortung im Umgang mit bestimmten Anforderungen an den Tag legen zu können. Diese Anforderung wird noch dadurch besonders geschärft, dass die Regelsatzberechnung im SGB II durch den Wegfall der früheren einmaligen Bedarfe erfolgt. Dies bedeutet, dass die Hilfeempfänger für größere Anschaffungen zur Bildung finanzieller Rücklagen angehalten werden. Ihnen wird folglich in dieser Hinsicht ein großes Maß an Selbstverantwortung im Umgang mit den ohnehin knappen Leistungen abverlangt. Es wird ein planende(r) und “d. h. . ökonomisch-rational kalkulierende(r) Umgang mit den vorhandenen Ressourcen”  unter den erschwerten Bedingungen der Armut erwartet. Genau in diesen Fähigkeiten aber liegt ja häufig das Problem von von Armut Betroffenen. Man könnte umgekehrt behaupten, dass diejenigen, die in dieser Hinsicht Selbstverantwortung und einen rational planenden Umgang mit ihren Lebensumständen beherrschen, noch am ehesten vor – zumindest dauerhafter –  Armut bewahrt sind.

Um das Neue an der Situation noch einmal deutlich zu markieren: Die entscheidende Differenz des SGB II zu den vorhergehenden Gesetzen ist die “aktivierungsorientierte Gewährung von Grundsicherung”. Es wird auf diese Weise mit jeder Illusion, der Staat könnte unabhängig von Eigenanstrengungen der Bürger Daseinsvorsorge in der Not leisten leisten, endgültig aufgeräumt. Es wird eine Gruppe von Menschen ausgesiebt, die nicht aktivierungsfähig sind. Die Vermutung, dass damit prinzipiell auch die Würde der Betroffenen zum Spielball von Aktivierungsstrategien werden kann, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber ist das mit unserem deutschen rechts- und sozialstaatlichen Verständnis vereinbar?

Aktivierung durch Stabilisierung des Selbstbewusstseins
In der Praxis macht allerdings das vorliegende Datenmaterial aus den SGB II-Evaluationen  deutlich, dass es eine ganze Reihe von Fällen gibt, in denen diese Ausrichtung des SGB II zu greifen scheint. Es gibt eine hohe Bereitschaft, zusätzliche Beschäftigung in Form von Minijobs oder zusätzlicher Arbeit anzunehmen. Allerdings ist aus den Evaluationen nicht klar erkennbar, ob diese Bereitschaft aufgrund der entsprechenden Sanktionsdrohungen oder ohnehin aus einer sowieso vorhandenen Bereitschaft, angebotene Arbeit zu übernehmen, resultiert. Der in die Gesetzgebung eingebaute Angstfaktor lässt sich schwer messen und anhand der bisherigen Evaluationen auch nicht überprüfen. In der Praxis scheint er allerdings nicht gerade selten zum Tragen zu kommen, wie die o.a. Zahlen von Verstößen gegen Auflagen und damit die Vornahme von Sanktionen im SGB II-Bereich belegen.

Der Frage nach der negativen Anreizwirkung von Sanktionen müsste folglich noch sehr viel genauer nachgegangen werden. Denn es scheint nicht ganz unwahrscheinlich zu sein, dass die Sanktionsdrohungen verbunden mit einer ganzen Reihe von von vielen Betroffenen als Demütigung erfahrenen Offenlegungszwängen, was ihre eigenen Vermögungsverhältnisse u. a. anbetrifft, den Aktivierungsprozess gerade nicht fördern, sondern sogar eher behindern. Dies könnte deswegen der Fall sein, weil auf diese Weise ganze Betroffenengruppen in ihrer Eigenverantwortlichkeit nicht nur systematisch überfordert sondern beeinträchtigt werden. Denn auf diese Weise wird der entscheidenden Hebel jeder Aktivierungspolitik, nämlich die Stärkung der Selbstwirksamkeit bzw. des Selbstbewusstseins der Betroffenen geschwächt, wie nicht allzu schwer vorzustellen ist.

Zwar gibt es deutliche Hinweise darauf, dass in vielen Fällen gerade ein beständiges Fordern durch den Fallmanager – z. B. sich immer wieder noch einmal zu bewerben – bei den von Armut Betroffenen bestehende Routinen aufbricht und sie auf diese Weise wieder näher an Beschäftigungssituationen und an eine Stärkung der Eigenverantwortung heranführt. Arbeitslose, die längere Zeit aus der Erwerbsarbeit ausgestiegen waren, brauchen vor allem einer Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls, um überhaupt aktivierungsfähig zu sein. Erfahrungen aus der allgemeinen Sozialarbeit lassen erwarten, dass das Erreichen einer stabilen Beschäftigung, sogar dann, wenn es solche Arbeitsplätze gibt, erschwert wird, wenn es an Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl mangelt. Motivation stellt sich nicht von selbst ein und Sanktionen schaffen dies schon gar nicht. Menschen müssen wissen, dass sie etwas wert sind, um ihr Leben selbst in die Hand nehmen und Perspektiven entwickeln zu können. Das lässt die Frage stellen, inwieweit im Aktivierungsprozess Aberkennung vermittelt werden kann. Die preußische Maxime “Nicht getadelt ist genug gelobt” reicht hier sicherlich nicht aus. Zudem wird in den vorliegenden Evaluationen immer wieder wird deutlich, wie unterschiedlich die Betreffenden im Einzelnen den Aktivierungsprozess in seinen verschiedenen Formen wahrnehmen und für sich selbst verarbeiten, was insbesondere durch die Wirkung der Verfahren auf die jeweils unterschiedliche eigene biografische Situation bedingt ist. Insofern müsste ein konsequent kompetenzorientiertes Fallmanagement an dieser Stelle ansetzen und individuell biografiebezogene Maßnahmen der Stabilisierung und der Förderung des Selbstwertes der Betroffenen entwickeln.

Das heißt, dass die sozialpädagogischen Elemente im Fallmanagement gestärkt werden müssen. Dies hat auch etwas damit zu tun, dass in vielen Fällen die direkte Aktivierung zur Übernahme von Erwerbsarbeit gegenüber einer in dieser Hinsicht eher indirekten Stabilisierung der “Lebensbewältigungsfähigkeit” der Menschen ein Stück weit zurückgenommen werden müsste. Stärkt man das Fallmanagement nicht in dieser Richtung, sondern bleibt bei den bisherigen oft eher schematisch und wenig auf den Einzelnen bezogenen Aktivierungsformen, dann behalten diejenigen, die ohnehin noch nahe am Arbeitsprozess drangeblieben sind, bessere Chancen als die anderen, die die Aktivierung eigentlich am nötigsten hätten. Diejenigen, die noch die besten Kompetenzen haben sich selbst zu helfen, erhalten dann die meiste Unterstützung, wohingegen andere genau dadurch weiter benachteiligt werden.

Das Ziel: Aufnahme von bezahlter Arbeit
Was nun die Frage nach dem Schicksal der am schwierigsten Aktivierbaren anbetrifft, so kommen die Möglichkeiten des SGB II mit den beratenden und aktivierenden Möglichkeiten der Fallmanager noch nicht an ihr Ende. Um auch für diese Gruppe Instrumente vorhalten zu können, gibt es seit 2007 sozusagen als ultima ratio die auf Dauer gewährte Zahlung von Beschäftigungszuschüssen. Sie stehen seit Oktober 2007 im Rahmen des Programms “Jobperspektive” unter bestimmten Voraussetzungen zur Verfügung.  Die betreffenden Arbeitgeber bekommen dabei bis zu 75 % der Lohnkosten erstattet. Gefördert werden sollen nur Personen, die auf absehbare Zeit keine Chance auf reguläre Beschäftigung haben. Tatsächlich sind deswegen Geförderte im Durchschnitt älter und haben häufiger gesundheitliche Einschränkungen. Mehr als die Hälfte der Geförderten war seit Einführung des SGB II in 2005 ununterbrochen im Leistungsbezug. Erstaunlich ist, dass trotz der offensichtlichen Großzügigkeit dieser Förderung die bereit gestellten Fördermittel noch in keinem Jahr ausgeschöpft worden sind. Es scheint offensichtlich schwierig zu sein, dies Menschen, die wahrscheinlich auch bei der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit sozialpädagogischer Betreuung bedürfen, angemessen einzusetzen. Deutlich ist aber, dass hier ein Durchbrechen der bisherigen Logik der Integration in den ersten Arbeitsmarkt vollzogen wurde. Das Schicksal dieser Arbeitsplätze macht aber auch deutlich, wie schwierig es grundsätzlich zu sein scheint, länger im Bereich des SGB II verbliebene Menschen wieder dauerhaft in bedarfsdeckende Beschäftigung zu bringen. An dieser Stelle braucht es in Zukunft erheblicher Phantasie, um die Ziele des SGB II von dieser Seite her positiv abzusichern. Ohne zusätzliche staatliche Beschäftigung wird es kaum gehen.

Dieses Beispiel belegt deutlich, dass es einen großen Bereich von Betroffenen gibt, die ohne jede eigenes Verschulden von sich aus nicht in der Lage sein werden, eigenverantwortlich den ersten Arbeitsmarkt erreichen zu können. Auf die Dauer gesehen ist deswegen damit zu rechnen, dass sich die SGB II-Klientel in aktivierungsfähige und nicht aktivierungsfähige Personen aufspalten wird. Das ist für sich genommen nicht negativ zu beurteilen, da diese Unterscheidung einen gezielteren Hilfeeinsatz für die jeweils betroffene Gruppe ermöglicht. Allerdings weist diese Einsicht noch einmal darauf hin, dass die Sanktionsbewehrtheit von Aktivierungsmethoden nicht hinreichend sein kann, Menschen aus der Armut heraus zu verhelfen.

Und dies gilt nicht nur für diejenigen, die die schwächsten Chancen haben. Denn ohnehin hängt der gesamte Aktivierungsprozess an der Beurteilung der Betreffenden, was ihre Chancen auf den Arbeitsmärkten anbetrifft. So weist eine neue Evaluation des IAB  nach, dass zumindest Arbeitsvermittler im Urteil der SGB II Empfänger trotz zunehmenden Druckes durchaus als freundlich, zugewandt und hilfreich erlebt werden. Ein Vorgehen im Sinne einer “Förderung durch Forderung” scheint nicht nur als abträglich gesehen zu werden. Dies gilt insbesondere für Ältere über 50 Jahre – deutlich weniger allerdings für Jüngere. Die Arbeit der Grundsicherungsträger werde, so das Fazit, durchaus als moderne dem Kunden zugewandte Dienstleistung wahrgenommen. Allerdings – und das gilt für alle Altersgruppen – wäre der Einfluss dieser Aktivitäten auf das letztendliche Finden eines Arbeitsplatzes gering. Das Vertrauen in einen Erfolg der Beratungen ist folglich defizitär. Auch intensive Beratungen könnten daran wenig ändern. Sicherlich kann die subjektive Einschätzung ihrer Arbeitsmarktchancen durch die Betreffenden fehlerhaft, gerade regional zu defizitär sein und bisweilen auch als Alibi dafür genutzt werden, selbst nichts in Richtung Bewerbung zu unternehmen. Aber man wird nicht behaupten können, dass dies für die gesamte Klientel gilt. Wo aber eine sanktionsbewehrte Aktivierung eingesetzt wird ohne dass es auch nur annähernd eine Aussicht auf Erfolg gibt,  wird die Situation für alle Beteiligten unerträglich.

Statt Hartz IV: Ermutigung I
Zieht man das Gesagte zusammen, so kann man einer gewissen Aporie nicht aus dem Weg gehen. Wenn selbst eine freundlich zugewandte Aktivierung ins Leere laufen muss, weil es ohnehin nicht genügend anständige Arbeitsplätze gibt, stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung einer Mediatisierung der Grundsicherung erst recht. Deswegen will ich hier abschließend eine Diskussion darüber anregen, ob nicht ein angemessener Aktivierungsprozess tatsächlich darauf verzichten müsste, die vor Armut mehr oder minder sichernde Bedarfsdeckung in Höhe der Regelsätze im Prozess der Aktivierung potentiell infrage stellen zu dürfen. Was bringt eine dadurch erzeugte Angst? Bei den einen, die arbeitsmarktnah sind, braucht es sie nicht. Und die anderen stößt es nach unten und verhindert den Aufbau von Selbstbewusstsein. Wie wäre es, wenn man andersherum denken würde, nicht Fehlverhalten sanktionieren, sondern im Gegenteil durch zusätzliche finanzielle Anreize Aktivierungserfolge belohnen würde? Also statt Hartz IV sozusagen Ermutigung I zu praktizieren. So etwas ist im bisherigen Denksystem des SGB II nicht vorgesehen. Warum nicht diejenigen, die Absprachen einhalten und Aktivierungserfolge nachweisen, belohnen? Wäre dies nicht ein sinnvolles, den Einzelnen besser stabilisierendes System, als im negativen Falle auch noch die existenzsichernde Grundlage zu kürzen? Es würde auf jeden Fall etwas Angst aus dem gesamten Komplex herausnehmen ohne dass alles gleich in antiker Dekadenz versinken müsste.