Grenzen der Verfügbarkeit


Leihmutterschaft ist ein kontroverses Thema – die EKD hat sich entschieden hier eine fundierte Position zu finden. Teil dieses Prozesses ist ein Forschungsprojekt, das beim SI angesiedelt ist und von David Samhammer verantwortet wird. Hier spricht der Soziologe über den Vorwurf an die Reproduktionsmedizin „Gott zu spielen“ und was das Paradox der Verfügbarkeit ist.
Herr Samhammer, das Thema Leihmutterschaft ist ohne Frage kontrovers. Warum sollte man sich da positionieren?
Leihmutterschaft als Thema wurde in der Vergangenheit immer wieder im öffentlichen Diskurs nach oben gespült, meist bedingt durch Skandale. Das liegt auch an der Situation, die wir in Deutschland haben: Einerseits ist Leihmutterschaft verboten, andererseits findet sie statt, weil das Verbot vor allem Kliniken und Agenturen in den Blick nimmt. Sie ist also eine gelebte Praxis, meist über Ländergrenzen hinweg und dazu muss man sich irgendwie verhalten.
„Wie werden Grenzen am Anfang und Ende des Lebens verschoben?“
Warum ist der Umgang dabei so komplex?
Zunächst liegt Leihmutterschaft ein großes Ausbeutungspotenzial inhärent. Darüber hinaus steht Leihmutterschaft auch nie für sich allein, sondern ist umkreist von ganz vielen anderen Themen: Was ist Familie? Was Mutter- oder Elternschaft? Wie wollen wir das alles leben? Das wird oft anhand von Leihmutterschaft verhandelt.
Das sind für die Kirchen keine neuen Fragen, oder?
Nein, Kirche hatte schon immer ein genuines Interesse daran für diese ganz grundlegenden, lebenspraktischen Fragen Orientierung anzubieten und hat sich in der Vergangenheit deshalb auch schon dazu geäußert. Im Zentrum steht die Frage: Wie werden Grenzen am Anfang und Ende des Lebens verschoben? Wie gehen wir mit diesem Wandel um?
„Die Ur-Kritik an Reproduktionsmedizin: Da wollen die Menschen „Gott spielen“!“
Das von Ihnen am SI verantwortete Forschungsprojekt setzt unter anderem auf sogenannte Expert:inneninterviews. Warum?
Expert:innen zeichnen sich erstmal dadurch aus, dass sie über ein Sonderwissen verfügen. In unserem Fall wurden die Expert:innen zudem dadurch ausgewählt, dass sie einen Praxisbezug zum Thema haben. Die Interviewpartner:innen haben alle eine Profession oder einen Beruf inne, in dem Sie mit Menschen in Kontakt kommen, die ungewollt Kinderlos sind oder eine Leihmutterschaft in Anspruch genommen haben. Das Thema Leihmutterschaft ist, wie gesagt, aber sehr stark geprägt durch den Diskurs und welche Deutungen mit dem Thema verbunden sind. Es geht also auch darum, wie die Expert:innen sich verhalten und wem gegenüber sie sich zum Beispiel abgrenzen. So kann man die Aussagen der Expert:innen auch mit der aktuellen Debatte in Verbindung bringen.
Im aktuellen SI-Kompakt spielt der Begriff der Verfügbarkeit eine große Rolle. Wieso?
Eigentlich ist das eine Ur-Kritik an Reproduktionsmedizin insgesamt: Da wollen die Menschen „Gott spielen!“ Man greift in etwas ein, was man als natürlich sieht, macht also etwas verfügbar. Dabei ist dieser Vorwurf in einer Paradoxie gefangen: Wer sich den Prozess der Leihmutterschaft tatsächlich vor Augen führt, sieht eine Situation großer Unverfügbarkeit. Es gibt sehr viele Eventualitäten, viele Risiken und Vulnerabilitäten. Trotzdem existiert eben dieser Vorwurf und wir wollten dieses Spannungsfeld, das man nicht auflösen kann, diskutieren.
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