Leben ohne bezahlte Arbeit: “Fragiler Alltag”

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SI-Studie betont Kompetenzen von Langzeitarbeitslosen

Sie sitzen zu Hause, gehen nicht arbeiten und kassieren das Geld vom Staat. Einige Zeitgenossen fassen mit diesen Worten zusammen, was es zu Langzeitarbeitslosen zu sagen gibt. Aber ist das so korrekt? Was wissen wir über Langzeitarbeitslose? Seit 2012 stagniert ihre Zahl auf einem Niveau von knapp über einer Million Menschen. “Uns bewegt, wie wir als Gesellschaft für diese Menschen Teilhabemöglichkeiten schaffen können, denn der ‘normale’ Zugang zu Stellenangeboten scheint ihnen verwehrt zu sein”, sagt Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (SI). Ein Ergebnis der neusten SI-Studie ist, diese Menschen wollen arbeiten, sie brauchen jedoch Rahmenbedingungen, die weder frustrieren noch entmutigen. “Sie verfügen”, so Soziologin Antje Bednarek-Gilland, “über erstaunliche Fähigkeiten, Alltags- und soziale Kompetenzen. Dass sie trotzdem den Weg in den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, liegt an vielen Faktoren.” Die Studie gibt Einblick in den Lebensalltag von langzeitarbeitslosen Menschen, sie beschreibt deren Fähigkeiten und arbeitet heraus, wie Krisen bewältigt werden und der Einstieg in die Arbeitswelt wieder gelingen kann. Das jetzt erschienene Buch liefert zudem Handlungsempfehlungen:

Antje Bednarek-Gilland: Fragiler Alltag – Studie zu den Fähigkeiten langzeitarbeitsloser Menschen
creo-media, Hannover, ISBN 978-3-9814883-6-4, 116 Seiten, € 9,80. Zum Shop

Antje Bednarek-Gilland hat langzeitarbeitslose Menschen nach ihren individuellen Bewältigungsstrategien gefragt und diese interpretiert. Sie hat mit Experten gesprochen und selbst in sozialen Unternehmen gearbeitet, um die Erkenntnisse zu vertiefen. “Die Wege in die Arbeitslosigkeit unterscheiden sich zwischen ostdeutschen Befragten, die nach Berufsausbildung und mehrjähriger Anstellung im selben Betrieb im Zuge der wirtschaftlichen Umstrukturierung ihre Arbeit verloren haben, und den vielfältigeren Wegen bei westdeutschen Forschungsteilnehmer_innen. “Allen war gemeinsam, dass der Eintritt in die Arbeitslosigkeit einen gesellschaftlichen Statusverlust mit sich brachte”, betont Bednarek-Gilland.

Geschildert werden die Wege in die Langzeitarbeitslosigkeit, die Phasen der Zermürbung, der Umgang mit Krisen sowie gesundheitlichen Problemen und die Verkettungen verschiedener Ereignisse an konkreten Beispielen ? darunter sind auch Akademiker. Die Dauer der Arbeitslosigkeit, die wiederholten Niederlagen und Absagen auf Bewerbungsversuche erleben viele als persönliches Scheitern. Bei Terminen in Ämtern und bei der Arbeitsvermittlung werden sie immer wieder auf ihre Defizite verwiesen. Sie erleben Demütigungen und selten respektvollen Umgang. Finanzielle Engpässe führen zur sozialen Verarmung.

Gefragt wurde nach der Rolle der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, z. B. Ein-Euro-Jobs. Die Interviewten erlebten diese Tätigkeiten überwiegend als “schön”, da sie keine schwere, aber dennoch nützliche Arbeit leisten müssten. In einigen Fällen konnten dort noch Qualifikationen erworben werden. Für die Lebenszufriedenheit sind Arbeitsgelegenheiten wichtig. “Also ganz ehrlich, wenn ich dort nicht arbeiten könnte, würde ich … von morgens bis abends im Bett verschimmeln.” Der 26-Jährigen verhilft die Qualifizierungsmaßnahme in einem sozialen Unternehmen zur Normalität und ermöglicht ihr, wieder Selbstwertgefühl zu entwickeln. Informationen zum Projekt

Hannover, 04. November 2015
Renate Giesler