Neue Studienergebnisse zur Pflege

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Fürsorgliche Praxis auf der Suche nach Anerkennung

Pflegekräfte für die Altenpflege werden gesucht und ihr Bedarf wird weiter wachsen. Waren es 2007 noch rund 2,4 Millionen Menschen, die gepflegt werden mussten, so werden es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2030 schon 3,4 Millionen sein. Doch wie es den Pflegenden geht, mit welcher Einstellung und Wertehaltung sie ihre Arbeit – ob zuhause oder beruflich – verrichten und wie sie mit den steigenden Anforderungen klar kommen, ist eher ein Randthema. In dem neuen Buch aus der Reihe „Protestantische Impulse für Gesellschaftund Kirche“ (Band 10), herausgegeben von Gerhard Wegner vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, werden die verschiedensten Aspekte der Pflegearbeit behandelt.

Unsichtbare Pflegearbeit.
Fürsorgliche Praxis auf der Suche nach Anerkennung
Christel Kumbruck, Mechthild Rumpf, Eva Senghaas-Knobloch – mit einem Beitrag von Ute Gerhard.
Studien zur Pflege 3. LIT Verlag, Februar 2011.
304 S., 29,90 €. ISBN 978-3-643-10984-2.

Das Autorinnenteam hat Alten- und Krankenpflegerinnen in ihrem stationären und ambulanten Alltag begleitet und sie nach ihren Vorstellungen und Erfahrungen guter Pflege befragt.  Was Pflegekräfte an ihrem Beruf schätzen, wie sie ihr Ethos pflegerischer Praxis verstehen, was sie erwarten und was ihnen die Arbeit erschwert, darüber wird in dem Band 3 der Studien zur Pflege berichtet. Die Diskrepanzen zwischen den Erwartungen und Zumutungen, die an Pflegekräfte gerichtet werden und dem, was sie bewältigen können, werden thematisiert. Die Autorinnen haben zudem Paare im Pflegeberuf nach der Vereinbarkeit persönlicher Ziele in Beruf und Familienalltag befragt. Weitere Kapitel des Buches beschäftigen sich mit  dem Ethos fürsorglicher Praxis („Care“) und Anerkennungsproblemen sowie mit dem Wandel  der Geschlechterverhältnisse in Familie und Erwerbsarbeit.

Neu ist, dass hier aus feministischer Sicht diskutiert wird, ob Pflege unter gegenwärtigen  Bedingungen überhaupt „menschenwürdig“ ausgeübt werden kann. Der Titel „Unsichtbare Pflegearbeit“ wurde bewusst gewählt. Eine (gute) Beziehung zu den Menschen ist das Wichtigste, was Frauen und Männer gleichermaßen an den Pflegeberuf bindet, betonen die Autorinnen. Doch genau diese sei heute angesichts der „Pflege im Minutentakt“ besonders gefährdet. Wenn die vom Management definierte Zeit es nicht mehr zulasse, neben Verbandwechsel und „Spritze setzen“ noch mit den zu Pflegenden ein paar Worte zu wechseln, verliert der Beruf für Frauen und Männer seine Attraktivität. Auch das Ethos gerät in Gefahr. Es sind vor allem männliche Pflegekräfte, die diese Entwicklung am schärfsten kritisieren. Sie verweisen ausdrücklich auf ihre Emotionsarbeit, beispielsweise um die Stimmung in den Zimmern aufzuhellen. Schwestern und Pflegerinnen sehen diese Arbeit eher als selbstverständlich an und beschreiben sie nicht als besondere Kompetenz. Offenbar wirken hier, so die Autorinnen, tief eingeprägte kulturelle Vorstellungen über den weiblichen Charakter von Pflege nach.

Bei aller Problematik, die Wissenschaftlerinnen zeigen Perspektiven auf. Zum Beispiel können– und sollten – im Fall der häuslichen Pflege ganz neue Wege für eine geteilte Sorgeverantwortung beschritten werden. Wer in der Pflege tätig ist, weiß, dass Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit zuhause und in Einrichtungen rund um die Uhr gilt. Die jüngeren der

interviewten Paare haben mit großer Selbstverständlichkeit neue Familienarrangements organisiert; während ihrer Elternzeiten zu Hause haben sie den Kontakt zum eigenen Berufsfeld aufrechterhalten.

Die Autorinnen geben insgesamt allerdings zu bedenken, dass die moralischen Orientierungen und das berufliche Pflegeethos innerhalb der Gesellschaft keine unerschöpflichen Ressourcen darstellen. Damit einerseits notwendige unbezahlte Care-Zeiten besser in den Lebenslauf integriert werden können und andererseits berufliche Pflegequalität und das Pflegeethos nicht beschädigt werden, bedarf es aus Sicht der Autorinnen einer gesamtgesellschaftlich getragenen Kultur des Sorgens und dementsprechender Rahmenbedingungen für materielle und immaterielle Anerkennung.

 

Renate Giesler
Sozialwissenschaftliches Institut der EKD