Risiko darf nicht sexy sein

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Ein Kommentar von Gerhard Wegner in “Die Nordelbische”

Hat die Wirtschaftskrise ein Umdenken bewirkt? Gerhard Wegner findet viele Reaktionen zu halbherzig. Die Schutzschirme der Staatengemeinschaft setzen ein falsches Signal, so seine Analyse.

“Einer der wichtigsten deutschen Manager, Michael Dieckmann von der Allianz, hat es kürzlich auf den Begriff gebracht: “Trotz der öffentlichen Diskussionen läuft das System hinter den Kulissen schön weiter. Ich finde das auch verwerflich. Aber ich kann Verwerflichkeit nur ändern, wenn ich den Markt dafür habe.” So ist es in der Tat. Die Deutsche Bank hat gerade verkündet, dass sie auch weiterhin an 25 Prozent Eigenkapitalrendite festhält und dieses Ziel schon im 1. Halbjahr 2009 wieder erreichen wird.

Ohne Zweifel liegt der Fokus der bisher ergriffenen Maßnahmen nach wie vor auf der Bekämpfung der aktuellen Probleme angesichts der Sorge vor noch heftigeren Zusammenbrüchen. Auf der anderen Seite ist die Verständigung der Staatengemeinschaft, drohende Insolvenzen in wichtigen Bereichen mit Staatshilfen abzuwenden, zugleich äußerst risikoreich. Der nun vorhandene Schutz setzt Fehlanreize für Manager und Shareholder, weil die disziplinierende Kraft des Scheiterns nicht mehr existiert. Zudem: Die durch Schulden ausgelöste Krise wird durch ein unvergleichlich hohes Schuldenmachen bekämpft.

Der G20 Gipfel von London hat aber auch über lange Zeit ungeahnte Übereinstimmungen unter den Ländern ergeben. In Aussicht genommen wurden neue Regeln für die Finanzmärkte, eine bessere Aufsicht über alle Produkte und Akteure, Erhöhung der Eigenkapitalunterhalte, Austrocknen der Steueroasen, Registrierung der Hedge-Fonds, mehr Geld für den IWF und Afrika, striktere Verfahren bei den Rating-Agenturen. Vieles hiervon ist noch halbherzig, aber fast alles war bis vor kurzem überhaupt undenkbar. Das macht Hoffnung, wenn auch viele Fragen nach der Um- und Durchsetzung der neuen Regeln bleiben. Wichtig ist, dass es nicht zu einem neuen Deregulierungswettlauf der Staaten kommt und übernationale Kontrollorgane handlungsfähig gemacht werden.

Die Situation bleibt unklar – und sie wird es noch eine zeitlang sein. Für die Zukunft hängt alles davon ab, dass es gelingt ein robustes und risikoaverseres Finanzsystem als das gegenwärtige zu schaffen. Der Nobelpreisträger Paul Krugmann hat dies mit dem Satz auf den Begriff gebracht, dass Banking wieder langweilig werden müsse. Genau das ist es: Risiko muss seinen Sexappeal verlieren. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Von katholischer Seite wird in dieser Situation schon der Systemwechsel ausgerufen. Kein geringerer als Ernst-Wolfgang Böckenförde hält fest, dass der Kapitalismus im Kern überwunden werden müsse, nicht nur in seinen Auswirkungen. Der “Besitzindividualismus”; das “unbegrenzte Erwerbsinteresse der Einzelnen, das keiner inhaltlichen Orientierung unterliegt” muss durch ein System ersetzt werden, das “die Solidarität der Menschen in ihrem Miteinander zum tragenden Bezugspunkt” macht: eine Art von Sozialismus mithin. Soweit sollte es nicht kommen, denn das Risiko eines solchen Systemwechsels wäre noch gewaltiger als die jetzige Krise.”