Lasst die Armen doch einfach aussterben!

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Die Bundesregierung hat die Armutsbekämpfung aufgegeben. Kommentar von Gerhard Wegner (epd sozial)

Seit gut zehn Jahren wächst die Armut in Deutschland: von 1999 bis 2008 um 37%. Das SGB II drängt die Menschen zwar in Arbeit, sodass die Arbeitslosigkeit sinkt – aber sie entkommen dort nicht der Armut. Der Niedriglohnsektor ist mittlerweile fast so groß wie in den USA. Real haben die untersten 10% der Einkommenspyramide in diesem Zeitraum deutliche Verluste hinnehmen müssen.
Was bei dem allem am schnellsten wächst und am skandalösesten ist, ist die Kinderarmut. Es gibt zu viele arme Kinder in Deutschland. Und sie werden täglich mehr: Während die wohlhabenden Kreise trotz aller Anstrengungen der Politik immer weniger Kinder bekommen ist dabei den Armen nicht der Fall. Gut so, könnte man sagen. Wenigstens sie erfüllen ihre “demographische Pflicht” und sorgen dafür, dass Deutschland nicht noch schneller ausstirbt. Und das auch noch angesichts der Tatsache, dass man sich im SGB II mit der Gründung einer Ehe ohne nur selbst bestraft.
Nicht so jedoch die Bundesregierung. Hier scheint man es für nötig zu halten, die Reproduktion generell stoppen zu sollen. Wie anders soll man die Abschaffung des Elterngeldes für SGB II Empfänger verstehen? Bisher wurden 300 Euro für 12 Monate gezahlt – das fällt nun ersatzlos weg. Diese Maßnahme hatte in 2007 einen Vorlauf. Damals wurde bereits die Bezugszeit des Erziehungsgeldes, das für SGB Empfänger 300 Euro für 24 Monate sicherte, halbiert. Man brauchte das Geld für die Finanzierung des Elterngeldes der Wohlhabenderen, so die Begründung. Eine klare Umverteilung von unten nach oben. Offensichtlich gibt also es Kinder 1. und 2. Wahl. Arme Kinder braucht es nicht. Immerhin gibt es noch den Kinderzuschlag. Aber durch dessen Regelungen blickt niemand wirklich durch.

Es ist noch gar nicht lange her, da wurde anders geredet. Aus SGB II Kindern müssten Ingenieure werden, so hieß es. Und deswegen müsste man genau in diese Kinder investieren. Die alte Parole aus den sechziger Jahren von der “Hebung der Begabungsreserven” klang angesichts der demographischen Krise wieder durch. Jedes Kind wird schon in wenigen Jahren tatsächlich auf den Arbeitsmärkten gebraucht und verdient deswegen alle Aufmerksamkeit. Es bräuchte mehr Unterstützung der Familien und gezielte kompensatorische Förderung in Kindergarten und Schule. Diejenigen, die Leistung bringen könnten sollten gefördert werden und nicht die, die sich Förderung leisten könnten. Solch ein Projekt wäre mit mehr Chancen für alle und mehr Gleichheit in der Gesellschaft verbunden.
Was nun geschieht ist das Eingeständnis, dass eine wirklich teilhabefördernde Strategie seitens der Bundesregierung nicht verfolgt wird. Es ist die Kapitulation vor der Armut. Die Hoffnung scheint tatsächlich zu sein, die Armen mögen doch bitteschön aussterben. Die Armenpolitik des 19. Jahrhunderts feiert fröhliche Urständ. Margot Kässmann hat Recht: Gegen diese Politik ist Widerstand berechtigt.