Nachruf auf Prof. Dr. Karl-Fritz Daiber (1931–2025)

Pionier der Pastoralsoziologie und Brückenbauer zwischen Theologie und Gesellschaft
Mit großer Dankbarkeit und tiefer Trauer nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Karl-Fritz Daiber, der am 25. Mai 2025 im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Mit ihm haben wir noch in einer Jahrestagung 2021 seinen 90. Geburtstag und das 50jährige Jubiläum seiner Gründung der Pastoralsoziologischen Arbeitsstelle, einer Vorgängereinrichtung des SI feiern können. Seiner Initiative, der Pastoralsoziologie Raum in Kirche und Theologie zu schaffen, verdankt unsere Institut auch heute noch sehr viel.
Karl-Fritz Daiber wurde am 6. August 1931 in Ebingen geboren. Nach dem Abitur begann er 1951 ein Studium der Evangelischen Theologie und Soziologie an den Universitäten Tübingen und Erlangen. Bereits früh zeigte sich sein Interesse an der Verbindung von Theologie und Gesellschaftswissenschaften, was ihn später zu einem der Pioniere der Pastoralsoziologie in Deutschland machen sollte.
Nach seinem ersten theologischen Examen war Daiber von 1958 bis 1971 als Gemeindepfarrer in Creglingen an der Tauber tätig. Parallel dazu absolvierte er ein berufsbegleitendes Soziologiestudium in Erlangen, das er 1967 mit einer Promotion zum Dr. phil. abschloss. Seine Dissertation trug den Titel „Die Kultur als soziales System“ und legte den Grundstein für seine spätere interdisziplinäre Forschung. 1972 habilitierte er sich in Praktischer Theologie an der Universität Göttingen.
Ein Meilenstein in Daibers Wirken war die Gründung der Pastoralsoziologischen Arbeitsstelle der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers im Jahr 1971 auf seine Initiative hin. Den Impuls für die Gründung verfolgte er aus der Einschätzung heraus, dass die Ausbildung von Vikarinnen und Vikaren unbedingt empirisch zu fundieren und die kirchliche Praxis wissenschaftlich zu begleiten sein müsse. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Arbeitsstelle zu einem Modellprojekt für eine Orientierung der kirchlichen (Ausbildungs-)Praxis an der empirischen Beobachtung der Gegenwart und wurde, in der Weiterentwicklung zum Pastoralsoziologischen Institut über Jahrzehnte hinweg zu einem Zentrum für empirische Kirchenforschung in Deutschland. Im Jahr 2004 wurde das Pastoralsoziologische Institut von der Evangelischen Kirche in Deutschland mit übernommen und zusammen mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut Bochum in das heutige Sozialwissenschaftliche Institut der EKD zusammengeführt.
Von 1988 bis 1996 war Daiber Professor für Praktische Theologie und Religionssoziologie an der Philipps-Universität Marburg. Auch nach seiner Emeritierung blieb er wissenschaftlich aktiv und lehrte von 2000 bis 2006 als Lehrbeauftragter für Religionssoziologie an der Universität Hannover. In dieser Zeit unternahm er auch mehrere Forschungsreisen nach Ostasien, insbesondere nach China, Indonesien und Südkorea, wo er sich mit dem religiösen Konfuzianismus und den Transformationsprozessen religiöser Praxis unter den Bedingungen der Moderne beschäftigte.
Seine Forschungsschwerpunkte lagen in der Theorie der Praktischen Theologie, der Homiletik, der Diakoniewissenschaft sowie in der empirischen Erforschung von Gemeindeaufbau und kirchlicher Identität. Besonders hervorzuheben ist sein Beitrag zur Verbindung von Theologie und empirischer Sozialforschung, was ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter der Pastoralsoziologie in Deutschland machte.
Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen unter anderem die Publikation seiner Habilitationsschrift unter dem Titel „Volkskirche im Wandel“ (1973), ein „Grundriss der praktischen Theologie als Handlungswissenschaft“ (1977) und „Religion unter den Bedingungen der Moderne“ (1995). Die Konsequenzen aus seiner empirischen Forschung für die kirchliche Predigt hat er in Predigt als religiöse Rede – Homiletische Überlegungen im Anschluß an eine empirische Untersuchung (1991) veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit namhaften Soziologen wie Thomas Luckmann veröffentlichte er auch grundlegende Werke zur Religionssoziologie.
Anlässlich seines 90. Geburtstags wurde sein Lebenswerk im Rahmen einer Tagung des Sozialwissenschaftlichen Instituts gewürdigt, deren Beiträge im Sammelband „Zukunftsaussichten für die Kirchen: 50 Jahre Pastoralsoziologie in Hannover“ erschienen sind, der seine Pionierarbeit und den nachhaltigen Einfluss seiner Forschung auf die Evangelische Kirche dokumentiert.
Prof. Dr. Karl-Fritz Daiber verstarb am 25. Mai 2025. Wir erinnern uns an Karl-Fritz Daiber als einen klugen, zugewandten und stets neugierigen Menschen, der mit seinem Denken und Handeln viele inspiriert hat. Sein Wirken in der kirchlichen Praxis und in der theologischen Forschung lebendig zu halten, sehen wir im Sozialwissenschaftlichem Institut als Auftrag und Verheißung! Sein Credo, „erst zu erkunden und nur dann zu bewerten“, inspiriert uns weiterhin.
Unser Mitgefühl gilt seiner Familie und allen, die ihm nahestanden.