Kirche und Zivilgesellschaft
Der Beitrag von Kirche vor Ort zur Sozialraumentwicklung. Empirisches Forschungsprojekt zur Kooperation kirchlicher und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure
Ausgangspunkt
Die Zivilgesellschaft wird in jüngeren religionssoziologischen Debatten häufig als der gesellschaftliche Ort von Kirche in modernen Demokratien angeführt. Dahinter steht die These eines tiefgreifenden Wandels der kirchlichen Organisation: Aus der ehemals staatsnahen Institution entsteht eine zivilgesellschaftliche Akteurin. Religion “verschwindet” demnach nicht einfach oder wird in die Privatsphäre verdrängt. Kirche kann vielmehr zukünftig zwischen Staat, Markt und Privatsphäre eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn zivilgesellschaftliche Prinzipien wie Selbstorganisation oder Gemeinwohlorientierung sind in hohem Maße mit christlichen Überzeugungen vereinbar. Mit der großen Zahl an Ehrenamtlichen und der Verfügbarkeit gemeindlicher Strukturen besitzt die Kirche beste Voraussetzungen für einen aktiven Beitrag zur Sozialraumentwicklung. Und nicht zuletzt kann sich ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement positiv auf die Außenwahrnehmung der Gemeinden auswirken und so dem Relevanzverlust von Kirche entgegenwirken. Bislang jedoch liegen nur wenig empirische Daten zum kirchlichen Beitrag von Sozialraumentwicklung vor.
Zielsetzung
Das Projekt greift diese Forschungslücke auf und überprüft den Beitrag von Kirchengemeinden zur Zivilgesellschaft vor Ort. Zentrale Fragen sind:
– Welche Rolle nimmt die Kirchengemeinde im Gesamtnetzwerk zivilgesellschaftlicher Akteure vor Ort ein?
– Sieht sich die Gemeinde selbst eher als befähigenden, gestaltenden Akteur in der Zivilgesellschaft oder verharrt sie in einem klassischen Amtsverständnis?
– Wie wird die zivilgesellschaftliche Attraktivität der Gemeinde durch andere Akteure im Sozialraum wahrgenommen? Wie ist das Image in der Bevölkerung?
– Welche Folgen ergeben sich aus der zivilgesellschaftlichen Position der Gemeinde für deren religiöse Vitalität?
Das Projekt knüpft damit sowohl an allgemeine religionssoziologische Diskussionen zur Bedeutung von Kirche und Religion in modernen Gesellschaften an als auch an Fragen zum Organisationswandel der Kirche. Ebenso bieten sich Schnittmengen mit aktuellen sozial- und kirchenpolitischen Diskursen zur Sozialraumorientierung kirchlichen und diakonischen Handelns, zum Quartiersbezug und zur Förderung lokaler Bürgergesellschaft.
Methode
Für die Studie werden insgesamt sechs Kirchengemeinden ausgewählt, die im Hinblick auf zentrale Strukturmerkmale (Bundesgebiet; Siedlungsstruktur; demographisches und sozioökonomische Profil) eine möglichst breite Streuung bieten. Zur Bearbeitung der einzelnen Fragen nutzt das Projekt eine Kombination verschiedener Methoden und Daten:
a) Mit Hilfe von Daten der amtlichen Statistik wird zunächst eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Sozialräume vorgenommen.
b) Qualitative Verfahren dienen der Ermittlung des Selbstverständnisses der Kirche vor Ort, der Wahrnehmung durch andere zivilgesellschaftliche Akteure sowie des Profils der Gemeinden. Zum Einsatz kommen: Expertengespräche, leitfadengestützte Interviews und Gruppendiskussionen. Interviewt werden sowohl Vertreter_innen der Kirchengemeinden als auch andere zivilgesellschaftlicher Akteure.
c) Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung in zwei der sechs Gemeinden vervollständigt die Studie. Auf diese Weise sollen zusätzliche Merkmale des Sozialraums (Sozialkapital, Vertrauen) und das Image der Kirchengemeinden in der Bevölkerung ermittelt werden.
Projektzeitraum: Juli 2015 bis Juli 2018
Verantwortliche Mitarbeiter*innen: David Ohlendorf, Dr. Hilke Rebenstorf
Publikation
David Ohlendorf, Hilke Rebenstorf, Überraschend offen – Kirchengemeinden in der Zivilgesellschaft
Hrsg. vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD
ISBN 978-3-374-06034-4, Evangelische Verlagsanstalt 2019, 324 Seiten
Kontakt:
Hilke Rebenstorf
hilke.rebenstorf@si-ekd.de
0511-554741-25