Eine Mutter leihen?
Eine Mutter leihen? Geht das bald auch in Deutschland? Die Reproduktionsmedizin macht es heute möglich, dass eine Frau ein Kind austrägt, welches genetisch nicht ihr, sondern den Spenderinnen und Spendern von Eizelle und Samen entspricht. Was manche für ein unzulässige Grenzverschiebung am Beginn des Lebens halten, ist für einige Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch die große Chance, ein eigenes Kind zu bekommen.
Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Das hindert Paare aus Deutschland, die es sich leisten können, aktuell nicht daran, Leihmütter im Ausland, etwa in den USA oder auch in der Ukraine in Anspruch zu nehmen. Für die Vermittlung und „Dienstleistung“ kassieren spezielle Agenturen teilweise mehrere zehntausend Euro. Ein gutes Geschäft für alle oder eine neue Form geschlechtsspezifischer und kolonialer Ausbeutung?
Gemäß Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die Zulassung einer „altruistischen Leihmutterschaft“ auch in Deutschland prüfen. Darunter wird eine Leihmutterschaft verstanden, die keine kommerziellen Motive hat. Schon die aktuelle Praxis wirft zahlreiche ethische und gesellschaftliche Fragen auf. Die Konstellationen sind im Detail komplex, unterschiedliche rechtliche und kulturelle Kontexte spielen hinein. Ist die altruistische Leihmutterschaft die Lösung aller Probleme oder wirft sie nur neue Fragen auf?
Eine Leihmutterschaft als purer Akt der Nächstenliebe um kinderlosen Dritten zu helfen: Kann das wirklich funktionieren? Ohne versteckte Abhängigkeiten und Ausbeutungen, ohne einseitige Risiken und reproduzierte Ungleichheiten? Und wie könnte das in Recht gegossen werden, um Missbrauch zu verhindern? Dazu hat die Bundesregierung die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin berufen. Sie wird ihre Ergebnisse auf der Tagung vorstellen.
Wir fragen insbesondere nach neuen Familienformen, die durch Leihmutterschaften entstehen. Menschen, die weit entfernt voneinander leben, treten in neue Beziehungsnetze ein: In manchen Familien werden Kinder von verschiedenen Leihmüttern leben, die ihrerseits für verschiedene Paare Kinder zur Welt gebracht haben. Haben wir bald überall Halb- und Leihgeschwister?
Wir sind herausgefordert – gesellschaftlich und politisch – Familienformen neu zu denken und mögliche rechtliche Regelungen zu diskutieren, um mit dem Wunsch nach Leihmutterschaft in Deutschland umzugehen. Das wollen wir tun: im Dialog verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Wie können familiäre Lebensformen zwischen reproduktiver Selbstbestimmung und interpersonalen Beziehungsdynamiken jetzt und in Zukunft ausgestaltet werden? Wir freuen uns auf Ihre Perspektive, ob Sie Expertin oder Laie sind!
Dr. Hendrik Meyer-Magister
Evangelische Akademie Tutzing
Prof. Dr. Peter Dabrock
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
David Samhammer
Sozialwissenschaftliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland